Foto: Moritz Richter
Humanitäre Hilfe ist keine Straftat. Solidarität mit Seenotretter*innen
In welchen Zeiten leben wir? Wie kann es sein, dass eine Europäische Gemeinschaft, die die Menschenrechte hochhält, es zulässt, dass Menschen angeklagt werden, die andere Menschen gerettet haben? Soll auf diese Weise gezeigt werden, dass das Recht auf Leben nicht für alle Menschen gelten kann?
Ganz konkret geht es momentan um die Crew der Iuventa. Die Iuventa ist ein Schiff der Organisation „Jugend rettet“, ein seit 2015 aktives Netzwerk von jungen Menschen. Deren Engagement hat dazu beigetragen, dass mehr als 14.000 Geflüchtete und Migrant*innen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet wurden. Im August 2017 wurde das Schiff von italienischen Behörden beschlagnahmt. Nach dem Abschluss der Ermittlungen lautet die Anklage nun „Beihilfe zur illegalen Einwanderung“. Sie richtet sich gegen den Kapitän, Mitglieder der Crew wie auch gegen weitere 21 Angehörige der Organisationen „Ärzte ohne Grenzen“ und „Save the Children“. Es drohen hohe Strafen, bis zu 20 Jahren Gefängnis.
2020 hatte Amnesty International die nun angeklagten Helfer*innen mit dem Amnesty Menschenrechtspreis ausgezeichnet, stellvertretend für alle Freiwilligen, die Geflüchtete und Migrant*innen in existenzbedrohenden Situationen unterstützen. Ein Jahr zuvor, 2019 hatte die Iuventa Crew den Max-Dortu-Preis für für Zivilcourage und gelebte Demokratie der Stadt Potsdam erhalten. Aber es weht zugleich weiterhin ein eisiger Wind in Europa. Dieser ist auf vielen Ebenen spürbar, er wird auch eingeatmet und ausgeatmet von Institutionen der demokratischen Gewaltenteilung in Deutschland. So hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg illegale Pusbacks legimiert, indem sie Ende September 2020 ein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung einstellte. Der Fotojournalist und Aktivist Daniel Kubirski hatte den deutschen Marinekapitän des Kriegsschiffs „Berlin“ angezeigt. Dieser hatte mit seiner Crew nicht eingegriffen als die griechische Küstenwache in der Ägäis ein manövrierunfähiges und beschädigtes Schlauchboot mit Migrant*innen aufhielten und abdrängten. Seit 2016 beteiligt sich die Bundewehr an Nato Einsätzen in der Ägäis, um Migrationsrouten durchs Mittelmeer zu unterbinden.
Im Artikel 2 des EU-Grundlagenvertrags (Vertrag von Lissabon, 2009) heißt es: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.“ Wie ist dies vereinbar mit der Kriminalisierung von Seenotrettung, illegalen Pushbacks, des Einsperrens von Geflüchteten und Migrant*innen in überfüllten Lagern mit katastrophalen Lebensbedingungen und Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete?
In Zeiten, in denen humanitäre Hilfe als politisch problematisch und mehr noch als kriminelle Intervention verstanden wird, ist es dringlich, Solidarität lautstark zu artikulieren. Lasst uns deutlich machen, dass viele der tödlichen und brutalen Grenz- und Migrationspolitik entgegentreten. Wir wollen eine plurale und demokratische Gesellschaft, die Menschen innerhalb und jenseits ihrer Grenzen, ein gutes Leben ermöglicht. Wir wollen nicht in einem Europa leben, das sich brutal abschottet und zugleich die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen in Ländern des Südens weitertreibt.
Amnesty Menschenrechtspreis 2020, https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/deutschland-amnesty-menschenrechtspreis-2020-geht-seenotrettungscrew
Stellungnahme der Seebrücke Postdam mit weiteren Links, https://seebruecke.org/events/anklage-der-iuventa10
Stellungnahme der Seebrücke Oldenburg: Staatsanwaltschaft Oldenburg legitimiert illegale Pushbacks in der Ägäis, https://seebrueckeoldenburg.noblogs.org/post/2020/12/17/stellungnahme-der-seebruecke-oldenburg