Kundgebung #DontForgetAfghanistan am 25.10.2022

Die Kundgebung fand im Rahmen einer Protesttour von afghanischen Aktivist*innen von Hamburg über Den Haag nach Brüssel statt. Wir durften folgenden solidarischen Redebeitrag halten:

Hallo zusammen,

ich möchte eine solidarische Grußbotschaft der Seebrücke Oldenburg vorlesen. Leider können wir heute nicht mit vielen Menschen auf der Kundgebung vertreten sein. Wir wollen aber deutlich sagen: Wir sehen den starken Protest gegen die Taliban, wir sehen all den Widerstand und die Kraft der feministischen Demonstrationen. Wir sehen auch das Unrecht und die Gewalt, die Frauen und Mädchen, queeren Menschen, die den Hazara, den Tadschiken und anderen ethnischen Minderheiten in Afghanistan angetan wird. Wir sehen den Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen in und aus Afghanistan!

Ob im Iran und in Ostkurdistan, in Afghanistan, im Sudan, in Chile, in der Ukraine, in Rojava, Sri Lanka oder einem der vielen anderen Orte auf der Welt, überall finden diese Kämpfe für Freiheit und Selbstbestimmung statt. Dabei gibt es sicher viele Unterschiede und viele Widersprüche. Doch wir betrachten all diese Kämpfe als miteinander verbunden. Dazu gehört auch der Widerstand gegen die nationalistische und koloniale Abschottungspolitik und die tödlichen Grenzen der Europäischen Union. Diese Politik der Zäune, Lager und Abschiebungen wurde von der letzten Bundesregierung mit ihrem Anti-Migrations-Minister Horst Seehofer besonders sichtbar vorangebracht. Die neue Ampelkoalition, auf die viele ihre Hoffnung gesetzt hatten, setzt diese Politik jedoch fast schon leidenschaftlich fort!

Keine fünf Minuten von hier sind die Büros von SPD, Grüne und FDP. Ich weiß nicht, ob Mitarbeiter*innen oder sogar Abgeordnete der Parteien heute hier sind. Vermutlich nicht, denn das waren sie auch in der Vergangenheit nur selten. Die Regierungsparteien haben nach über einem Jahr tödlicher Verzögerung und unzähligen abgelehnten Ortskräfteverfahren neulich ein Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan angekündigt. Daran muss vieles kritisiert werden, das wissen wir alle: Obergrenze von 1.000 Menschen im Monat, Verfahren nur über NGOs, die schnell überfordert sein werden. Keine Aufnahme für Menschen, die schon in Nachbarländer geflohen sind. Viel Unklarheiten, viel Bürokratie, viel Intransparenz.

Wären aber heute Menschen dieser Parteien da, würde ich ihnen noch etwas ganz anderes sagen: Es ist falsch, dass deutsche Beamt*innen und NGO-Mitarbeiter*innen über das Schicksal von Menschen entscheiden! Es ist grundfalsch, dass diese Menschen aus der Sicherheit heraus entscheiden, wer woanders auf der Welt in Sicherheit fliehen darf und wer nicht. Wer als gefährdet und vulnerabel gilt und wer nicht. Wer nach Deutschland kommen darf und wer nicht. Das ist im Grundsatz einfach falsch! Jeder Mensch hat das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und das Recht darauf, selbst zu entscheiden, wo er oder sie gut und sicher leben kann und möchte! Vielleicht ist das eine Utopie und eine Träumerei, denn wir sind weit von dieser Selbstbestimmung für alle entfernt. Doch diese grundsätzliche Kritik ist wichtig! Klar müssen auch die Details kritisiert werden. Das Problem aber bleibt, dass deutsche Beamt*innen am Schreibtisch über Menschenleben, Biografien und Schicksale anderer Menschen entscheiden dürfen! Das gilt für die Ausländerbehörde oder das Jobcenter genau wie für das Auswärtige Amt und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.

Wenn man mit Politiker*innen spricht, können die mit so einer grundsätzlichen Kritik allerdings meist wenig anfangen. Eigentlich wissen die ja auch, dass das falsch ist. Viele teilen diese Meinung vielleicht sogar. Sie meinen nur, dass auch sie nichts ändern können in diesem System. Deshalb können wir unsere Forderungen aber gerne auch noch konkreter formulieren: Statt unklaren Ankündigungen und Verzögerungsspielchen braucht es eine schnelle, transparente und unkomplizierte Evakuierung aller bedrohten Menschen in Afghanistan ohne festgesetzte Obergrenzen oder bürokratische Hindernisse! Wir fordern von der Bundesregierung, neue Aufnahmekapazitäten zu schaffen und den Menschen aus Afghanistan, die das Land verlassen wollen, eine eigenständige, bedürfnisorientierte und dezentrale Unterbringung in den über 300 aufnahmebereiten Kommunen in Deutschland zu ermöglichen! Keine Anerkennung der Taliban, keine Verhandlungen mit Terroristen, hört den widerständigen Menschen in Afghanistan endlich zu!

Danke, dass ich sprechen durfte und viel Kraft für die weiteren Kundgebungen und den Weg nach Den Haag und Brüssel!