[ungekürzte Version]
Rund 20, 4 Millionen Menschen sind aufgrund klimabedingter Katastrophen auf der Flucht. Doch was hat der Klimawandel eigentlich mit Flucht und Migration zu tun?
Zunächst aber möchte ich mich vorstellen. Ich spreche hier als Aktivistin der Seebrücke Oldenburg.
Der Klimawandel ist vielschichtig. Nicht nur in seinen Ursachen, sondern auch in seinen Folgen. Unter anderem ist der Klimawandel mitverantwortlich dafür, dass Menschen ihr zu Hause verlassen müssen. Klimatische Veränderungen führen zu Überschwemmungen, Bodenerosion sowie Dürreperioden und damit zu zerstörten Lebensräumen, ausbleibenden Ernten, Hunger, Armut und Staatenlosigkeit [1].
Absurderweise wird der Klimawandel nur als indirekte Fluchtursache bewertet und es gibt im Völkerrecht keine Definition für Menschen, die beispielsweise wegen Umweltkatastrophen ihr zu Hause verlassen müssen. Die Chance auf Asyl bleibt für die betroffenen Personen meistens sehr gering [2]. Darüber hinaus gibt es oft nicht die Möglichkeit zu fliehen, weil es an sicheren Fluchtwegen und Resettlement-Kontingenten fehlt. Es ist eine unvorstellbare Entscheidung, das eigene zu Hause und alles Bekannte zu verlassen und damit Existenzgrundlagen zu verlieren, in der vagen Hoffnung auf einen Neuanfang. Hinzu kommen in den meisten Fällen die fehlenden finanziellen Mitttel, um eine Flucht – gerade über längere Strecken in sichere Regionen – zu ermöglichen. Nicht außer Acht zu lassen sind die psychischen Belastungen der betroffenen Menschen. Häufig erleben sie Traumata und Verluste, die generationsübergreifende Folgen haben können [1].
Aufgrund der anhaltenden und bedrohlichen Folgen der Klimakrise sowie der inkonsequenten Klimapolitik des globalen Nordens, ist abzusehen, dass die Zahl von 20,4 Millionen Menschen, die auf Grund verschlechterter Lebensbedingungen ihr vertrautes Umfeld verlassen müssen, ansteigen wird. Wenn hier die Rede vom Globalen Norden oder Globalen Süden ist, ist damit keine geographische Einteilung gemeint, sondern vielmehr eine Position im globalen kolonialen und neo-kolonialen Kontext [3].
Menschen aus dem globalen Süden, vor allem Black, Indigenous, People of Color leiden an den Folgen der klimatischen Veränderungen. Aber auch an den Strategien, die die Länder des globalen Nordens zur Bekämpfung der Klimakrise einsetzen. Die Maßnahmen und die damit einhergehende, ausgeübte Gewalt des globalen Nordens spiegelt sich in Lohnausbeutung, wirtschaftlichen Zwängen und schlechten Arbeitsbedingungen wider. Zudem sind die Länder des globalen Südens finanziell und infrastrukturell nicht für eine bevorstehende Katastrophe gewappnet, um beispielsweise sich und ihre Häuser vor Überschwemmungen zu schützen. Oft gibt es wenig Aussichten auf ein sicheres und gutes Leben [3].
Die wirtschaftlichen Profite des globalen Nordens basieren schlicht auf historischer und aktueller Ausbeutung und Rassismus. Rassismus ist somit ein Bestandteil der Klimakrise und [sowohl] die Grundlage [als auch die Folge] von Kolonialismus und Neokolonialismus. Es zeigt nun einmal mehr die globalen Seitenverschiedenheiten und die damit einhergehende Ungerechtigkeit [3].
Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass spätestens 2050 nicht nur der globale Süden, sondern auch der globale Norden stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sein wird. Die Folgen der Klimakrise werden für den globalen Norden jedoch noch lange weniger spürbar sein, da mehr finanzielle Grundlagen für infrastrukturelle Transformation zur Verfügung stehen. Die Klimakrise trifft zuletzt die, die sie verursacht haben [2].
Der Zusammenhang zwischen Klimawandel, Flucht und Migration wird inzwischen öfter benannt und ist bekannt. Wenig Beachtung findet dabei der Zusammenhang zu Geschlechtsidentitäten. Während vor allem Frauen, Lesben, Inter, Nonbinary, Trans- und Agender-Personen, kurz FLINTA+, stark von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind, bestehen für diese häufig weniger Schutzmöglichkeiten und die Chance auf eine Flucht. Dabei spielt Gender eine wichtige Rolle dafür, wie die Klimakrise wahrgenommen und erlebt wird. Beispielsweise wirken sich Klimaschutzmaßnahmen je nach Geschlechteridentitäten unterschiedlich aus. Diskriminierende Gesetze etwa, verwehren FlINTA+ Personen den Besitz von eigenem Land, mit dem sie sich versorgen könnten [4].
Da FLINTA+ Personen in vielen Haushalten in die Care-Arbeit eingebunden sind oder dafür verantwortlich gemacht werden, wird ihnen auch die Verantwortung für die Maßnahmen zur CO2- Einsparung im Haushalt zugeschrieben. Dabei besteht die Gefahr der Feminisierung und Individualisierung der Klimaverantwortung [5].
Durch schwindende Ressourcen steigt das Risiko für FLINTA+ noch stärker von der Ausbeutung betroffen zu sein. Die Auswirkungen des Klimawandels sind nicht geschlechtsneutral [4]!
Daher fordern wir eine gendersensible Anpassung der Klimamaßnahmen und eine Veränderung der Geschlechter- und Machtverhältnisse in klimarelevanten Handlungsfeldern!
Solange die Politiker*innen die Klimakrise nicht ernst nehmen und den Zusammenhang mit Flucht, Migration und Gender unberücksichtigt lassen und die Klimapolitik nutzen um wirtschaftliche Profite umzusetzen, müssen wir laut werden und eine intersektionale Klimagerechtigkeit fordern. Die Akteur*innen des Globalen Nordens müssen zur Verantwortung gezogen werden!
Kommen wir vom Strukturellen und Globalen zum Lokalen. Im Rahmen der Kommunalwahlen haben wir zehn Forderungen an die Stadt Oldenburg und den*die Oberbürgermeister*in formuliert. Wir haben aufgeschrieben, was Oldenburg als „Sicherer Hafen“ tun könnte und tun muss, um sich für eine solidarische Asyl- und Migrationspolitik einzusetzen.
Unsere Zehn Forderungen an die Stadt Oldenburg und den*die Oberbürgermeister*in sind:
- Proaktive Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Seenotrettung
- Proaktive Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Lager und Unterbringung
- Unterstützung der Seenotrettung durch Schiffspat*innenschaften und Übernahme von Rettungstagen
- Städtepat*innenschaften mit Orten an den europäischen Außengrenzen
- Öffentliche Veranstaltungen zur Thematik
- Theoretische Auseinandersetzung mit kommunalen Gestaltungsspielräumen
- Vernetzung mit anderen progressiven europäischen Städten und Austausch mit Best Practice Beispielen
- Selbstbestimmtes Wohnen statt Unterbringung
- Spielräume für Bleiberecht ausschöpfen und Abschiebungen ausschöpfen
- Gesundheitsversorgung für alle voranbringen
(Lest euch gern die einzelnen Forderungen ausführlicher auf unserem Artikel im Blog durch.)
Wenngleich der alte Stadtrat vier Beschlüsse in unserem Sinne gefasst hat, meist auch auf unsere Initiative und unser Drängen hin, ist noch nicht viel passiert. Vor allem gemessen an dem unvorstellbaren Leid an den Außengrenzen der EU sehen wir eine klare kommunale Verantwortung für Oldenburg, die noch unerfüllt bleibt. Es gibt Spielräume, es gibt rund um den Globus erprobte Konzepte in und für solidarische Städte und es gibt die Rückendeckung der Zivilgesellschaft. Deshalb heißt es jetzt: Neuer Rat, neue Chance, also handelt endlich!
Wir fordern ein Recht auf Asyl für Menschen die auf Grund der Klimakrise fliehen müssen!
Wir fordern insbesondere den Schutz von queeren Geflüchteten!
[2]https://www.kohero-magazin.de/klima-als-fluchtursache-ein-ueberblick/
[3] Fridays for Future Tübingen (2021). Überall Klima, nirgendwo Gerechtigkeit? Zu den verschiedenen Dimensionen der Klimakrise. Tübingen: o.V.
[4] https://www.umwelt-im-unterricht.de/hintergrund/klimawandel-und-migration/