Was die Stadt Oldenburg als „Sicherer Hafen“ bisher getan hat, nicht getan hat und in Zukunft endlich tun muss

Forderungspapier 28.06.2021 – Seebrücke Oldenburg zieht Bilanz

Im September 2018, vor also schon bald drei Jahren, hat sich die Stadt Oldenburg zum „Sicheren Hafen“ und zur Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen bereit und mit der zivilen Seenotrettung solidarisch erklärt. Es folgte im Juli 2019 der Beitritt zum Städtebündnis „Städte Sicherer Häfen“. Seit diesen beiden wichtigen Schritten hat sich die Lage an den europäischen Außengrenzen weiter zugespitzt. Zwar wird die Verteilungsfrage von aus Seenot Geretteten und die Diffamierungskampagne gegen Retter*innen nicht mehr so aggressiv wie unter dem ehemaligen italienischen Innenminister Salvini ausgetragen, doch weiterhin werden reihenweise zivile Rettungsschiffe festgesetzt. Zugleich erleben wir im zentralen Mittelmeer das tödlichste Jahr seit 2017 und auch von deutscher Seite die Weigerung, europäische Migrationspolitik solidarisch zu organisieren.

Mittlerweile haben sich 253 deutsche Gebietskörperschaften wie Kommunen und Landkreise zu „Sicheren Häfen“ und zur zusätzlichen Aufnahme schutzsuchender Menschen bereit erklärt. Diese Aufnahmebereitschaft scheitert an der fortwährenden Blockadehaltung des Bundesministeriums für Inneres. Viele Städte haben deshalb nach anderen Formen der Verantwortungsübernahme gesucht. Sie bieten zum Beispiel die Finanzierung von Rettungstagen ziviler Seenotschiffe an, treten dem Bündnis „United for Rescue“ oder Vereinen wie Sea-Eye bei, betreiben aktiv Öffentlichkeitsarbeit und fordern das Ende der inhumanen und tödlichen Migrationspolitik.

Oldenburg hat im Februar letzten Jahres das Angebot der Aufnahme von einigen unbegleiteten geflüchteten Kindern beschlossen. Auch hat der Oberbürgermeister Jürgen Krogmann im September 2020 mit anderen Bürgermeister*innen einen offenen Appell für die Aufnahme aus den griechischen Lagern unterzeichnet und an einer weiteren Stelle öffentlich die Aufnahme von aus Seenot Geretteten angeboten. Diese wichtigen Schritte haben wir sehr begrüßt und zur Kenntnis genommen. Jedoch ist zu betonen, dass zumeist Kontaktaufnahme, Impulse und mitunter auch Druck von unserer Seite vorausgingen. Blicken wir nun auf die letzten drei Jahre zurück und führen uns die Dringlichkeit der Thematik vor Augen, so müssen wir ernüchternde Bilanz ziehen. Wir sind der Meinung, dass eine wohlhabende, sich als weltoffen und sozial verstehende Stadt wie Oldenburg deutlich mehr tun kann und muss – aus eigenem Antrieb, der Sache wegen. Denn Menschenrechte sind unverhandelbar!

Vor dem Hintergrund dieser Bilanz haben wir aufgeschrieben, was Oldenburg als „Sicherer Hafen“ tun könnte und tun muss, um sich für eine solidarische Asyl- und Migrationspolitik einzusetzen.

I. Kommunikation nach außen

1. Proaktive Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Seenotrettung

Der*die Oberbürgermeister*in muss die Sichtbarkeit des Amtes nutzen, um sich regelmäßig und anlassbezogen zum dem Thema Seenotrettung und Ereignissen an den Außengrenzen öffentlich und offensiv zu positionieren.

Wird zum Beispiel nach einer Rettung von Menschen aus Seenot ein Hafen zur Ausschiffung verweigert, so kann Oldenburg die Aufnahme der Menschen anbieten und an das Auswärtige Amt und Bundesinnenministerium beauftragen, diese Bereitschaft bilateral an Italien oder Malta weiterzugeben. Die Vergangenheit hat gezeigt, das Zusagen über Aufnahmen die Blockadehaltung der Mittelmeeranrainerstaaten lösen kann. Auch wenn es zu Blockaden von Rettungsschiffen und Kriminalisierung von Organisationen und Aktivist*innen, sowie von Menschen auf der Flucht kommt, muss sich Oldenburg zu Wort melden und Solidarität aussprechen.

2. Proaktive Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Lager und Unterbringung

Der*die Oberbürgermeister*in muss die Sichtbarkeit des Amtes nutzen, um bei Ereignissen wie den Bränden in Moria und Lipa oder Überschwemmungen in Kara Tepe regelmäßig öffentlich und offensiv zu positionieren.

Oldenburg sollte (nicht nur, aber gerade) bei Ereignissen, welche die Situation in den Lagern an den Außengrenzen in das Bewusstsein breiter Öffentlichkeit bringt, aktiv das Angebot zur Aufnahme von Menschen betonen und ggf. durch Ratsbeschlüsse erneuert an das Bundesinnenministerium kommunizieren.

II. Praktische Unterstützung

3. Unterstützung der Seenotrettung durch Schiffspat*innenschaften und Übernahme von Rettungstagen

Oldenburg sollte, wie einige andere Städte es auch tun, den zivilen Rettungsorganisationen die finanzielle Übernahme von Rettungstagen und/oder Pat*innenschaften für Rettungsschiffe oder Beobachtungsflugzeuge anbieten. Auch gibt es die Möglichkeit der Mitgliedschaften bei zivilen SAR-Organisationen zwecks Solidarisierung und dauerhafter Unterstützung.

4. Städtepat*innenschaften

Oldenburg kann durch Städtepat*innenschaften mit Gemeinden und Städten, die am Mittelmeer oder anderen migrationspolitischen Brennpunkten liegen, transnational Verknüpfungen und Austausch schaffen – ganz im Sinne von „From the Sea to the City“. Auf diese Weise wird ein Netzwerk der über 600 solidarischen Städte in Europa geschaffen und gestaltet sowie die politische Handlungsmacht gestärkt.

III. Inhaltliche Auseinandersetzung

5. Öffentliche  Veranstaltungen

Die Stadt kann mit eigenen Veranstaltungen zu den Themen Seenotrettung, Lager und Migrationspolitik Aufmerksamkeit für die Situation flüchtetender Menschen schaffen und ihre Reichweite nutzen, um Menschen für eine progressive, weltoffene Migrations- und Asylpolitik  und Solidarität mit der zivilen Seenotrettung zu gewinnen.

6. Theoretische Auseinandersetzung mit Gestaltungsspielräumen

Die Stadt kann, wie zum Beispiel Potsdam, proaktiv Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen einladen, um sich über kommunale Spielräume und Konzepte zu informieren und eine Auseinandersetzung anzuregen. Die Rolle der Städte im politischen Mehrebenensystem wird seit Jahrzehnten rege diskutiert und beforscht. Das dabei entstandene Wissen kann Oldenburg sich zu Nutze machen.

IV. Politische Schritte

7. Vernetzung mit anderen europäischen Städten und Austausch mit Best Practice Beispielen

Oldenburg gehört seit Juni 2019 zum Bündnis „Städte Sichere Häfen“. Dieses wurde zu dem Zweck gegründet, die Städte miteinander zu vernetzen, in Deutschland und darüber hinaus. Oldenburg kann hier aktiv die Vernetzung vorantreiben. Dabei bieten sich unterschiedliche Partner*innen an – etwa die Stadt Braunschweig, welche derzeit die „Sicheren Häfen“ in Niedersachsen koordiniert oder die Stadt Potsdam, welche sich sehr konstant engagiert.

8. Selbstbestimmtes Wohnen statt Unterbringung

Jeder Mensch hat das Recht auf selbstbestimmten Wohnraum unter Schutz der eigenen Privatsphäre. Geflüchtete Menschen aber werden nach wie vor regelmäßig in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht – auch in Oldenburg. Daher muss Oldenburg alle Anstrengungen unternehmen, um für alle Menschen Raum zum freien und selbstbestimmten Wohnen zu schaffen. Wenngleich die Außenstelle Oldenburg der Landesaufnahmebehörde im ehemaligen Kloster Blankenburg formal in der Zuständigkeit des Landes fällt, betrachten wir die dort lebenden Menschen als Teil unserer Stadt. Oldenburg muss sich konsequent für die Verbesserung der Lebensbedingungen in Blankenburg einsetzen.#

9. Spielräume für Bleiberecht statt Abschiebungen ausschöpfen

Das Schicksal nicht weniger Menschen hängt von Entscheidungen der „Ausländerbehörde“ (sic!) und nicht selten von der*dem konkreten Mitarbeiter *in ab. Oldenburg muss deshalb sicherstellen, dass die lokale „Ausländerbehörde“ (sic!) weiterhin ihre rechtlichen Spielräume maximal ausschöpft, um Menschen Schutz zu gewähren und ihnen Wege ins Bleiberecht zu ermöglichen.

10. Gesundheitsversorgung für alle voranbringen

Gesundheit ist ein Grundrecht. Gerade in Zeiten einer Pandemie wird deutlich, dass die Gesundheit aller Menschen gleichermaßen wichtig ist. Noch aber haben nicht alle Menschen, die in Oldenburg leben, einen uneingeschränkten Zugang zur medizinischen Versorgung. Oldenburg muss dafür sorgen, dass dieser Zugang für alle Menschen unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus jederzeit und angstfrei geschaffen wird. Dies kann zum Beispiel geschehen durch eine Krankenversicherungskarte für Alle oder einen anonymen Krankenschein für Menschen ohne Papiere.

Schlussworte

Dies waren nur einige Vorschläge für Schritte auf dem Weg zur Umsetzung des „Sicheren Hafens“ Oldenburg. Wichtige Forderungen dazu hat das Bündnis „Niedersachsen zum Sicheren Hafen für Alle“ formuliert. Zusammengefasst fordern wir von der Stadt Oldenburg eine selbstverständliche und proaktive Haltung zum Thema Aufnahme und Seenotrettung sowie mehr Eigeninitiative! Ansonsten verbleibt das Bekennen zum Sicheren Hafen sowie der Beitritt zum Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ als reine Symbolpolitik ohne konkrete Effekte.