Redebeitrag der Seebrücke Oldenburg bei der Kundgebung „Abschottung stoppen“ am 29.11.2021

Moin! Ich darf heute einen kurzen Beitrag für die Seebrücke Oldenburg halten.

Die mörderische Abschottungspolitik der Europäischen Union ist für unzählige vermeidbare Tode, Traumata und furchtbare Tragödien verantwortlich. Diese Politik der Mauern und Zäune, die wir oft als „Festung Europa“ beschreiben, tötet aber meist nicht mit Waffengewalt, sondern durch bewusste und kalkulierte Unterlassung und Behinderung von Hilfe. Wir alle wissen genau, dass beinahe tagtäglich Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil Europa sich weigert sichere Wege der Einreise zu schaffen oder zumindest Seenotleidende konsequent zu retten. Auch an der polnisch-belarussischen Grenze hat es keinen Finger am Abzug gebraucht, um mindestens 13 Menschen zu töten. Es reicht aus, Migration als ultimative Bedrohung und Sicherheitsproblem zu inszenieren, um das grausame Erfrieren und Ertrinken lassen von Menschen zu rechtfertigen. So behauptet Sachsens Ministerpräsident Kretschmer im November 2021, die Gesellschaft müsse die Bilder notleidender Menschen aushalten. Dazu sagen wir nur eines: Nein, müssen wir nicht und werden wir nicht!

Wir werden nicht aushalten und hinnehmen, dass Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention einfach so beerdigt werden, nur weil die EU sich im Krieg wähnen will und schutzsuchende Menschen lieber sterben lässt, als ihnen zu helfen und sich damit vermeintlich „erpressbar“ zu machen!

Wir werden nicht aushalten und hinnehmen, dass die Europäische Union das Gebot der Nicht-Zurückweisung , Kern der Genfer Flüchtlingskonvention, über Bord wirft und den Schutz der Grenzen über den Schutz von Menschen und die Wahrung hart erkämpften internationalen Rechts stellt!

Wir werden nicht aushalten und hinnehmen, dass Menschen auf der Flucht entmenschlicht, entrechtet, kriminalisiert, gedemütigt, gefoltert, ermordet und zwischen den Fronten internationaler Machtpolitik zerrieben werden!

Wie kann es sein, dass wir angesichts der enormen Brutalität an der polnisch-belarussischen Grenze, des Hochziehens von Natodraht-Zäunen und Mauern, toter und verletzter Menschen und unendlich vielen geplatzten Hoffnungen und Träumen, angesichts einer inhumanen und rassistischen Mediendebatte kaum noch ernsthafte Versuche der Intervention erleben, sowohl bundesweit als auch in unserer Stadt? In der NWZ schwadroniert ein Mitglied der Chefredaktion mit hartem Rechtsdrall von „Merkelismus“ und „Kontrollverlust“, in der Tageszeitung Die Welt werden Maschinenpistolen an den Grenzen der EU als Notwendigkeit verhandelt, auf Demos der sogenannten „Querdenker“ in Oldenburg werden geflüchtete Menschen unter Applaus rassistisch kategorisiert – doch unser Oberbürgermeister bleibt still und reagiert noch nicht einmal auf unsere Appelle. Auch nicht auf den Brandbrief, den wir mit rund 30 Gruppen, Vereinen und Personen aus Oldenburg heute vor einer Woche veröffentlicht haben.

Dabei sagte Oberbürgermeister Krogmann in einem Pressestatement noch vor einem Jahr anlässlich der Situation in den griechischen Lagern – Ich zitiere: „Wir brauchen ein entschlossenes und gemeinsames Handeln. Wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen und konkrete Hilfe anbieten“. Nun aber fällt es zunehmend schwerer, nicht an der Einsatzbereitschaft zur Realisierung dieser Hilfsbereitschaft zu zweifeln. Denn wie drückt sich diese Entschlossenheit vor dem Hintergrund der katastrophalen und unmenschlichen Situation an der polnisch-belarussischen Grenze derzeit aus?

Mit der Idee der „Sicheren Häfen“ und der Gestaltung einer menschlichen Asyl- und Migrationspolitik „von unten“ setzt die Seebrücke auf eine Verbündetenschaft mutiger und offener Kommunen und der solidarischen Zivilgesellschaft. Dafür aber braucht es eine wirklich entschlossene Stadt, wenn nötig auch eine rebellische Stadt, die eigeninitiativ und beharrlich Kritik übt an der bundesdeutschen und europäischen Abschottungspolitik. Wir wollen an dieser Stelle ganz offen sagen: Die letzten Wochen lassen uns in vielfacher Hinsicht desillusioniert zurück.

Und dennoch stellen wir weiterhin Forderungen an die Stadt Oldenburg. Wir fordern von Oldenburg als „Sicherer Hafen“, dass den Worten Taten folgen. Wir fordern, nicht nur in Zeiten großer medialer Aufmerksamkeit des Themas Versprechungen zu machen, sondern weiter aktiv an Möglichkeiten kommunaler Verantwortungsübernahme zu arbeiten – denn die gibt es! Die solidarische Zivilgesellschaft in Oldenburg ist da, die Ideen und Ansätze sind da und die absolute Notwendigkeit ist leider auch da. Nun ist es an Herrn Krogmann und den Mitgliedern des Stadtrates, kommunale Verantwortungsübernahme, eine humane Migrations- und Asylpolitik und ein menschliches Europa zu Ihrem Herzensthema zu machen und aktiv daran zu arbeiten.

Doch natürlich dürfen wir uns nicht mit dem Stellen von Forderungen begnügen, denn viel zu oft verhallen sie wirkungslos und unsere Appelle zerschellen an der Trägheit des rassistischen Status Quo. Deshalb gilt es sich zu organiseren und zusammenzuschließen! Wir müssen Themen zusammen denken und Kämpfe verbinden. Eine solidarische Praxis entwickeln und praktisch solidarisch sein. Umso mehr freuen wir uns, heute hier mit euch zu stehen und hoffen auf viele weitere Aktionen.

Von Moria bis Blankenburg, von Lampedusa bis Belarus – Bewegungsfreiheit für alle Menschen! Brick by Brick, Wall by Wall, make the fortress Europe fall!