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Grenzenlose Solidarität statt nationalistischer Verschwörungsmythen

Offener Brief der Seebrücke Oldenburg
Erstunterzeichnerinnen: AStA der Carl von Ossietzky Universität OldenburgDeutsch-Israelische Gesellschaft DIG Oldenburg Oldb., Mädchenhaus Oldb. e.V., Oldenburger Rechtshilfe, VfB für AlleAutonomes Feministisches Referat Uni Oldenburg, antifa.elf Oldb., NO OlgidaStudents for Future Oldenburg, Recherchenetzwerk gegen Esokram Oldb, Women Defend Rojava Oldb., Tantifa Oldb., NIKA_Ol_WHV, Hochschulinformationsbüro der Gewerkschaften Oldb., Grüne Oldenburg, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stadtverband Oldenburg , Grüne Jugend OldenburgSPD Oldenburg-Stadt
Seit Januar 2020 breitet sich das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2 weltweit aus. Hunderttausende Menschen sind bereits gestorben, und während die Infektionszahlen in Deutschland derzeit zurückgehen, steigt die Zahl der Todesopfer in anderen Ländern weiter rapide an. Das Virus ist nach wie vor da, es wird bleiben, und erst die Entwicklung eines Impfstoffes könnte einen nachhaltigen Schutz bieten.
Physical Distancing ist daher zum Schutze aller das Gebot der Stunde. Die Wirkung zeigt sich in einer deutlich abgeflachten Reproduktionsrate. Zugleich bedeutet der Shutdown des sozialen und wirtschaftlichen Lebens für viele Menschen Existenzangst, soziale Isolation und häusliche Gewalt. Dies gilt es ernst zu nehmen und die Menschen trotz der Schutzmaßnahmen durch individuelles ziviles Engagement wie auch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe nicht alleine zu lassen. Solidarität ist gerade jetzt existentiell wichtig.
In einer Zeit der Krise ist es nur zu verständlich, dass Menschen Fragen stellen und nach Antworten suchen. Doch wir warnen ausdrücklich vor Verschwörungsmythen, die vermeintlich einfache Erklärungen für eine komplexe Realität geben. Seit mehreren Wochen finden auch in Oldenburg sogenannte „Hygienedemos“ statt. Die Leugnung der Existenz des Virus, die Umdeutung der abflachenden Kurve der Neuinfektionen und der Boykott der Schutzmaßnahmen, die auf ihnen propagiert werden, sind verantwortungslos, gefährlich und zutiefst unsolidarisch gegenüber den Menschen, für die COVID-19 lebensgefährlich werden kann. Wir lesen daher die Selbstbezeichnung „Menschenwürde Demos“ als perfiden Missbrauch von Begriffen.
Bundesweit zeichnet sich ab, dass auf diesen Demonstrationen eine nationalistische, deutsche Identität heraufbeschworen wird. Das „deutsche Volk“ wird als vermeintliches Opfer der herrschenden Politik präsentiert, während alle Menschen jenseits dieses nationalen Kollektivs entweder nicht erwähnt oder als vermeintliche Gefahr für dieses deutsche „Wir“ beschrieben werden. Hinzu kommen Schuldzuweisungen gegen „die Eliten“, „die Medien“, „die Politik“ und eine angebliche globale Verschwörung zur Etablierung einer vermeintlich neuen Weltordnung (NWO). Mit ihnen wird ein Bild von Gesellschaft bedient, das hochgradig gefährlich ist. Es führt in den allermeisten Fällen direkt zu Antisemitismus und zur Erneuerung der Vorstellung einer angeblich jüdischen Weltverschwörung. So ist es auch zu erklären, dass Teilnehmer*innen auf den Demos die nationalsozialistische Symbolik des Judensterns mit der Aufschrift „ungeimpft“ tragen und auf diese Weise die Shoah relativieren [1]. In Oldenburg ist die bekannte Holocaust-Leugnerin Imke Barnstedt regelmäßige Teilnehmerin dieser Demos [2]. Auch Anhänger*innen der AfD und der Anwalt der rechtsextremen Identitären Bewegung, Gerhard Vierfuß, verbreiteten im Umfeld der Veranstaltungen ungestört ihre rassistische Propaganda [3]. Zentral ist hierbei die Verschwörungsideologie von einem angeblichen Bevölkerungsaustausch, der in Deutschland und Europa stattfinden und durch globale Eliten geplant würde. Ziel sei es, ein angeblich homogenes deutsches Volk durch Migration aus anderen kulturellen Kontexten zu ersetzen und zu zerstören. Dieses Phantasma vom „Großen Austausch“ war ein maßgebliches Motiv für die Attentäter in Christchurch, Halle und Hanau [4]. Dass all dies im Umfeld der Hygienedemos verbreitet wird, ist kein Zufall und auch keine Randerscheinung. Es entspricht vielmehr der nationalistischen und verschwörungsideologischen Grundanlage dieser Demonstrationen.
Menschenrechte gelten für alle, sie kennen keine Grenzen.
Als Seebrücke Oldenburg haben wir die Einschränkungen infolge der Pandemie kritisch begleitet und dort, wo wir sie unangemessen fanden, protestiert. Dies gilt vor allem für das Demonstrationsrecht. Gemeinsam mit unseren Bündnispartner*innen haben wir im Rahmen der #LeaveNoOneBehind-Kampagne seit dem 19. April 2020 gezeigt, dass Kritik am rassistischen Status Quo und die Beachtung der Infektionsschutzmaßnahmen kein Widerspruch sein müssen. Für uns ist dies eine Frage der Solidarität! Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gilt auch und gerade in Zeiten einer Pandemie, weshalb verantwortungsvolles und solidarisches Handeln im eigenen lokalen Kontext beginnt. Zugleich darf sie dort nicht enden, denn das Virus stoppt nicht an menschengemachten Grenzen. Es bedroht uns alle, weshalb grenzlose Solidarität und die Forderung nach einem menschenwürdigen Leben und Schutz für alle Menschen die einzig angemessene Antwort sind.
Die Welt wird nach Corona eine andere sein, machen wir sie gemeinsam gerechter für alle!
Wir rufen alle Oldenburger*innen auf, nicht an den „Menschenwürde Demos“ teilzunehmen. Wer gemeinsam mit Rechtsextremen, Rassist*innen und Antisemit*innen demonstriert, demonstriert nicht für universale Grundrechte für alle! Wer auf Kosten anderer Menschen für die eigene Freiheit demonstriert, demonstriert nicht für eine freie Gesellschaft. Solange die Freiheit mancher die Freiheit anderer beschneidet, bleibt die Gesellschaft im Ganzen unfrei [5]. Die „Menschenwürde Demo“ in Oldenburg steht für uns nicht für eine emanzipatorische und solidarische Gesellschaft.
Die derzeitige Krise ist eine neuartige und globale Herausforderung für uns alle. Umso mehr kommt es darauf an, dass wir uns nicht gegeneinander aufhetzen lassen, sondern solidarisch handeln. Versuchen wir, die Krise auch als Chance für Veränderungen zu begreifen. Gerade angesichts der Erfahrung der Pandemie und der Bedeutung gesellschaftlichen Zusammenhalts benötigen wir zukünftig mehr soziale Gerechtigkeit. Dies kann nur gelingen, wenn wir als Gesellschaft prekäre Berufe und ihrer Bezahlung sowie Abhängigkeiten vom Sozialstaat, wie sie beispielsweise Harz IV- Empfänger*innen erleben, thematisieren und für Veränderung einstehen. Zudem sind die Anerkennung einer Vielfalt von Geschlechtern und ihre Gleichstellung, eine veränderte und klimafreundliche Art des Wirtschaftens wie auch das Recht auf Zuflucht und Schutz für alle Menschen unabdingbar! Solidarische Städte und eine solidarische Lebensweise wären die adäquate Antwort auf die gemeinsame Erfahrung der Krise. Und diese Städte können und sollten gemeinsam von uns gestaltet werden. Lasst uns also gemeinsam für ein solidarisches Oldenburg und damit für ein gutes Leben für alle eintreten.
[1] Hierzu u.a. Hierzu u.a. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-demos-klein-judenstern-kopien-100.html. Die Stadt München hat das Tragen von „Judensternen“ auf den „Hygiene Demos“ inzwischen verboten.

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