Redebeitrag zur Kundgebung zu Freiheit, Menschenrechten und Sicherheit in Afghanistan am 18.12.2021

Dieser Redebeitrag wurde von einer Aktivistin der Seebrücke Oldenburg verlesen.

Deutschland muss Verantwortung für die zugesagte Evakuierung von afghanischen Ortskräften und anderen Unterstützer*innen, die aufgrund dieser Unterstützung heute in Lebensgefahr schweben,  übernehmen. Als Anwältin ist es meine Aufgabe, Menschen dazu zu verhelfen, Ihre Rechte verwirklichen zu können. Durch die Aufnahmezusage der damaligen Bundesregierung haben ca. 18.000 afghanische Ortskräfte sowie besonders gefährdete Personen, wie zum Beispiel Jurist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen, und ihre Familien das Recht auf den Erhalt eines humanitären Visums und die legale Einreise nach Deutschland. Bis heute sind jedoch die meisten nicht in Feutschlamd angekommen. Dabei ist die Lage ernst, alleine nach offiziellen Angaben der UN sind bereits über 100 afghanische Sicherheitskräfte seit der Machtübernahme der Taliban gezielt ermordet worden.

Das viele Betroffene es noch nicht nach Deutschland geschafft haben, liegt auch daran, dass die Behörden oft monatelang nicht auf Anfragen reagierten, Evakuierungslisten mit den Namen von Betroffenen intern nicht weitergegeben oder willkürlich geschlossen wurden und immer neue Hürden geschaffen wurden. Dies begann damit, dass zunächst nur Personen berechtigt wurden, die mindestens bis 2013 für eine deutsche Organisation gearbeitet hatten. Außerdem wurden viele Personen ausgeschlossen, wenn diese zwar zum Beispiel als Fahrer für deutsche Soldat*innen tätig waren, dies aber nicht auf Grundlage eines Arbeitsvertrags, sondern lediglich eines Werkvertrags oder eines Vertragsverhältnisses über ein Subunternehmen.

Hatten Personen dann doch eine Aufnahmezusage erhalten, wurden Sie oft immer weiter von Behörde zu Behörde verwiesen: Vom Auswärtigen Amt an die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, von dort an die deutschen Botschaften in Nachbarländern und dann wieder zurück an das Auswärtige Amt. Selbst für Personen, die es auf eigene Faust in ein Nachbarland geschafft haben und sich dort bei den Botschaften meldeten, hatte das Warten kein Ende. Oft haben sie aber nur ein Visum für einen Aufenthalt von wenigen Monaten in den Nachbarländern. So droht schon einigen Personen die Abschiebung zurück nach Afghanistan, weil sie noch immer keinen Termin für Ihre Visumserteilung bei der deutschen Botschaft bekamen. In anderen Fällen wurde verlangt, dass Personen, obwohl bereits eine Aufnahmezusage vorlag und die Sicherheitsüberprüfung erfolgreich abgeschlossen war, zusätzlich einen gültigen Einreisestempel nach Pakistan vorweisen müssten, um das Visum zu erhalten. Die Situation an der pakistanischen Grenze ist jedoch seit August sehr unübersichtlich und angespannt, sodass viele diesen Vermerk nicht erhalten haben oder gezwungen waren, über nicht offizielle Wege auszureisen, um nicht von den Taliban an den Grenzübertritten abgefangen zu werden. Es kann nicht sein, dass von diesen Personen verlangt wird, sich unter Lebensgefahr zurück nach Afghanistan zu begeben und dann wieder nach Pakistan einzureisen! Dies ist nicht zumutbar.

Wird dann doch ein Visum erteilt, haben viele Menschen bereits ihre finanziellen Ressourcen verbraucht und kaum mehr die Mittel, noch für Flugtickets und Verwaltungsgebühren zu bezahlen. In Deutschland angekommen haben sie dann eigentlich Anspruch auf einen Aufenthaltstitel, werden aber stattdessen zum Teil  dazu gebracht, einen Asylantrag zu stellen. Dies hat in der Folge negative Konsequenzen wie räumliche Beschränkungen, Wohnsitzauflagen und eingeschränkte Arbeitserlaubnisse.

Glücklicherweise gibt es Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Kabul Luftbrücke oder das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte und auch viele engagierte Einzelpersonen, die den Betroffenen helfen, ihr Recht durchzusetzen. An dieser Stelle möchte ich mich für deren wertvolle Arbeit bedanken! Das darf aber für die Politik keine Ausrede sein, nicht selbst aktiv zu werden, um Ihre Verpflichtung gegenüber den Menschen zu erfüllen, die aufgrund ihres besonderen Engagements eine Aufnahmezusage erhalten haben.

Damit das Recht seinen Anspruch verwirklichen kann, auch gerecht zu sein, müssen zudem auch Aufnahmemöglichkeiten für Menschen geschaffen werden, die bisher keinen Anspruch auf eine Aufnahmezusage haben, aber durch Ihren Einsatz für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie oder wegen bloßer Willkür der jetzigen Machthaber mit dem Tode bedroht sind. Dafür können sowohl Bundesaufnahmeprogramme für alle Betroffenen dienen, die die Vergabe von humanitären Visa ermöglichen, als auch Landesaufnahmeprogramme, zum Beispiel für Personen mit Familienangehörigen in den jeweiligen Ländern, um den Familiennachzug zu beschleunigen und zu erweitern. Berlin ist hier bereits aktiv geworden, Niedersachsen sollte folgen und ebenfalls ein ambitioniertes Programm auflegen. Auch Resettlement-Programme für Geflüchtete in Nachbarländern sind ein wichtiger Baustein, um sich solidarisch zu zeigen und zu verhindern, dass die Grenzen abgeriegelt werden und Gefährdete nicht mehr entkommen können.

Danke, dass ihr heute hier seid und für die Rechte der Betroffenen eintretet.