Rede zur 1. Mai Demo 2022

Wir freuen uns sehr über das Motto der heutigen ersten Maidemonstration: Oldenburg eine Stadt für alle. Diese Utopie und Richtschnur für politische Interventionen ist auch für uns, die Seebrücke Oldenburg, handlungsleitend.

Eine Stadt für alle, eine solidarische Stadt. Darunter verstehen wir Teilhalbe und ein sicheres Leben für alle Menschen, die hier wohnen. Für alle muss es möglich werden, politisch und kulturell aktiv zu sein. Auch muss es für alle Optionen für ein „Gutes Leben“ geben. Es ist eine Utopie, die uns sehr deutlich macht, was zu ändern ist und uns auffordert, ganz konkret darüber nachzudenken, welche Handlungsmöglichkeiten es in der Kommune gibt, im Alltag und in der Politik. Wir müssen Druck erzeugen, so dass die kommunale Verwaltung, aber auch die Wirtschaft die Verhältnisse transformieren muss.

Eine Stadt für alle, bezieht sich nicht nur auf Menschen mit einem gültigen Pass bestimmter Nationalstaaten. Dies schließt vor allem auch Menschen ein, die hier wohnen und keinen gesicherten Arbeitsplatz haben. Menschen, die hier ohne Papiere leben. Arbeitsmigrant*innen, die in der Pflege, in der Landwirtschaft oder Fleischindustrie schuften. Dies verlangt von uns, Abschiebungen zu verhindern, uns einzusetzen für den Abbau von strukturellem Rassismus und weiteren Mechanismen, die unsere Gesellschaften hierarchisiert. Zwischen uns und der Utopie der „Stadt für alle“ stehen die kapitalistische Verwertungslogik, die nationalstaatliche Ordnung der heutigen Gegenwart, strukturelle Rassismen und Ausgrenzungsmechanismen. Jede Abschiebung, jede rassistische Polizeikontrolle, jedes menschenunwürdige Lager, jedes queerfeindliche Gerichtsurteil und jeder verschwörungsideologische Montagsaufmarsch steht dieser „Stadt für alle“ im Wege. Genau wie Ausbeutung, Verdrängung und Repression. Wir müssen uns die Frage stellen: Wem gehört die Stadt? Und wem sollte sie gehören? Wie wollen wir sie gemeinsam gestalten?


Unsere Solidarität mit Migrant*innen und Geflüchteten beschränkt sich dabei nicht auf eine bestimmte nationale oder ethnische Gruppe. Die Solidaritätsbewegungen mit Geflüchteten und Migrant*innen im Sommer 2015 und gegenwärtig mit Menschen aus der Ukraine haben gezeigt, was politisch möglich ist und wie dies auch von der Zivilgesellschaft getragen wird. Es ist aber auch sehr bitter, zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass die tolle und begrüßenswerte Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine, leider einher geht mit Rassismen. So können nicht alle Menschen aus der Ukraine fliehen. Für Schwarze Menschen, People of Colour und Rom*nja ist die Solidarität nicht oder kaum vorhanden. Darüber wird zu wenig berichtet und dies wird viel zu selten öffentlich kritisiert. Zugleich gibt es kaum Solidarität mit anderen Geflüchteten und Migrant*innen, die noch immer an der polnischen-belarussischen Grenze ausharren müssen. Dort wird die Grenze abgeriegelt, irakische, afghanische und syrische Menschen werden abgewiesen, obwohl auch sie vor Krieg und Gewalt geflohen sind. Menschen können weiterhin nicht die Lager an den Außengrenzen verlassen, illegale Pusbacks stehen auf der Tagesordnung, das Sterben im Mittelmeer wird nicht beendet, Geflüchtete, Helfer*innen und Seenotreter*innen werden kriminalisiert.

Das rassistische Migrations- und Grenzregime wird vor Ort ganz konkret gestützt. So stellte die Staatsanwaltschaft in Oldenburg 2020 die Ermittlungen wegen unterlassener Hilfeleistungen gegen den Kapitän eines Schiffs der deutschen Marine sehr schnell ein. Die Staatsanwaltschaft sah keine Handlungsnotwendigkeit für die Zeug*innen eines illegale Pushbacks.
Bei diesem Pushback hat die griechische Küstenwache ein manövrierunfähiges und beschädigtes Schlauchboot mit Menschen an Bord in türkische Gewässer zurückgedrängt. In der Begründung der Staatsanwaltschaft heißt es, dass „eine gemeine Not oder eine gemeine Gefahr“ nicht vorgelegen habe. Das zeigt deutlich, dass Sicherheit und der Schutz des Lebens nur für ausgewählte Gruppen von Menschen zählen. Ein eklatanter Bruch mit internationalen Vereinbarungen und ein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention, die doch die Basis für europäische Demokratien sein soll (hier mehr zur Staatsanwaltschaft Oldenburg). Gerade vor zwei Tagen musste wegen diesen Pushbacks für, die die Staatsanwaltschaft Oldenburg keinen Handlungsbedarf sah, Fabricce Leggeri, der Chef der Pushback- und Vertuschungsbehörde der EU, Frontex, zurücktreten. Dies ist gut, aber nicht genug. Der Fisch stinkt eben nicht nur vom Kopf her. Im Gegenteil, die Agentur Frontex in ihrer ganzen Struktur eine bewaffnete, rassistische und unkontrollierbare Institution und gehört abgeschafft! Menschenrechtsverletzungen sind in dieser EU-Behörde Teil des Systems, Missachtung der Legislative ebenso! Die Bundesregierung begrüßte den Rücktritt, weil dies einen Neuanfang ermögliche. Aber erst im Februar sagte Innenministerin Faeser, dass Frontex ausgebaut und gestärkt werden müsse. Auch damals waren alle Vorwürfe längst bekannt. Wir fordern die Staatanwaltschaft Oldenburg auf, die Ermittlungen aufzunehmen und ihrem Auftrag gerecht zu werden alle Menschenrechtsverletzungen zu ahnden, anstatt diese mit zu decken!

Wir werden diese rassistische Politik und Praxis auch weiterhin skandalisieren. Konkret vor Ort müssen wir auch darauf drängen, dass der Beschluss des Stadtrats, die Stadt zu einem Sicheren Hafen zu erklären, nicht reine Symbolpolitik bleibt. Vielmehr gilt es, wo immer möglich, Solidarität praktisch werden zu lassen und dort, wo wir leben, nach neuen solidarischen Formen des Zusammenlebens zu suchen und diese umzusetzen. Ein solidarische, gleichberechtigtes Zusammenleben in dieser Stadt können wir nur gemeinsam möglich machen. Dieser Prozess braucht Kraft und Mut sowie einen langen Atem.
Unsere Utopie einer Stadt für Alle lebt mit unserem Engagement!