Redebeitrag zum ersten Todestag von George Floyd

Folgender Redebeitrag wurde auf der Laufdemo anlässlich des ersten Todestages von Georg Floyd am 25.05.2021 gehalten und wurde gemeinsam mit dem Kollektiv Solidarity without Borders Oldenburg verfasst. Ganz unten findet ihr auch eine Audiodatei des Redebeitrags.

Hallo in die Runde,

vorweg ein Dankeschön an alle Beteiligten für die Organisation dieser Kundgebung. Ich darf einen gemeinsamen Redebeitrag von der Seebrücke Oldenburg und dem Kollektiv Solidarity without Borders Oldenburg halten. Die Seebrücke prangert seit inzwischen fast drei Jahren die Festung Europa und die mörderische, verbrecherische Migrationspolitik der EU an, Solidarity without Borders hat sich letztes Jahr ab April zusammengefunden und beschäftigt sich vor allem mit der Situation in Lagern wie Moria oder auch Blankenburg bei Oldenburg und dem direkten Support der Menschen dort. An dieser Stelle wollen wir Georg Floyd und allen anderen Menschen gedenken, die auf Grund von rassistischer Polizeigewalt ums Leben gekommen sind. Wir sprechen unser Mitgefühl aus und wollen allen Betroffenen rassistischer und antisemitischer Gewalt unsere Solidarität zusichern.

Bei der Thematisierung rassistischer Polizeigewalt muss auch der Abschottungskomplex der EU und die Rolle der deutschen Polizei benannt werden. Denn Gewalt ist in ihren unterschiedlichen Formen und Ausdrucksweisen ein wesentlicher und systematischer Teil der EU-Migrationspolitik. Nehmen wir das Geschehen an den europäischen Außengrenzen. Im März 2020 wurden Muhammad Al-arab und Muhammad Gulzar an der griechisch-türkischen Grenze erschossen – sehr wahrscheinlich durch griechische Grenzpolizei [1] [2]. Ermittlungen gibt es bis heute nicht, die Institutionen der EU und die Bundesregierung  schweigen. Als direkte Reaktion auf die Gewaltexzesse an der griechisch-türkischen Landgrenze, als Erdogan geflüchtete Menschen als politisches Druckmittel gegen die EU instrumentalisierte und die Grenze zu Griechenland für geöffnet erklärte, wurde Griechenland mit Lob überschüttet und von der EU-Kommission zum “Schutzschild Europas” erklärt [3]. 

 

Gleichzeitig wurden dutzende Frontex-Beamt*innen in die Region geschickt, darunter auch deutsche Bundes- und Landespolizei. In der letzten Woche haben sich in der spanischen Exklave Ceuta ganz ähnliche, wirklich unerträgliche Szenen abgespielt. Menschen, die auf Schutz und Perspektiven für sich und ihre Familien hoffen, wurden erneut in einem politischen Konflikt zwischen Nationalstaaten instrumentalisiert. Wieder wurde sichtbar, dass die EU dabei nur einen Modus kennt: Den der Gewalt. Spanien schickte Panzer und Soldat:innen, die Menschen teilweise in das Meer zurückprügelten. Mindestens zwei Menschen starben letzte Woche an der marokkanisch-spanischen Grenze. Einer von ihnen hieß Sabir, am 10. Juni wäre er 20 Jahre alt geworden. Wir wollen an dieser Stelle seinen Eltern, seinen vier Geschwistern und seinen Freund:innen, mit denen er sich auf dem Weg machte, unser tiefes Mitgefühl aussprechen.

 

Zweitausend Kilometer westlich von Ceuta ertranken zeitgleich mehr als 50 Menschen vor der Küste Libyens. Dort setzt die EU auf die Zusammenarbeit mit libyschen Milizen, die in Menschenhandeln und Folter verwickelt sind und allzu häufig Menschen ertrinken lassen, obwohl sie die Koordinaten der Seenotfälle haben. Diese wiederum bekommt die sogenannte libysche Küstenwache häufig direkt oder indirekt von Frontex zugespielt. Frontex, diese Millionen schwer bewaffnete supra-nationale selbsternannte Superpolizei, die von ihrer Überwachungszentrale in Warschau aus über Satellitenbilder seenotleidenden Menschen im Mittelmeer in Echtzeit beim Ertrinken zuschaut oder sie der sogenannten libyschen Küstenwache ausliefert, die Fliehende zurück in grausame Folterlager verschleppt [4]. Die Verbrechen von Frontex unter treuer Beteiligung deutscher Polizei könnten ganze Vorträge füllen. Auf den griechischen Ägäis-Inseln zum Beispiel sind ebenfalls regelmäßig deutsche Polizist*innen stationiert, um sich mit anderen Frontex-Beamt*innen in den inhumanen Lagern an der Befragung von asylsuchenden Menschen zu beteiligen – wobei wie schon vor Jahren bekannt wurde skrupellose Befragungstechniken angewendet werden [5]. 

 

Es gibt aber noch ganz andere Wege, wie deutsche Polizei Gewalt gegen fliehende Menschen ausübt und unterstützt. In Kroatien werden Menschen seit Jahren systematisch und extrem brutal von kroatischer Polizei über die Grenze zurück nach Bosnien-Herzegowina geprügelt, anstatt ihnen ihr Recht auf Asylantragstellung zu gewähren [6]. Die Berichte von diesen Pushbacks sind so grausam, dass ich sie selbst mit Triggerwarnung nicht wiedergeben möchte [7]. Das Border Violence Monitoring Network hat Ende letzten Jahres ein Buch mit 1500 Seiten mit diesen Berichten gefüllt – und das ist nur der erste Band [8]. Nun könnte mensch meinen, dass solche Verbrechen von der deutschen Bundesregierung scharf verurteilt werden und Aufklärung gefordert wird. Weit gefehlt. Stattdessen hat das Bundesministerium alleine 2019 und 2020  im Rahmen sogenannter polizeilicher Ausstattungshilfe 10 Wärmebildgeräte und 20 Geländewagen im Wert von rund 1,2 Millionen Euro für den kroatischen “Grenzschutz” gespendet [9]. Mit genau diesem Gerät werden Menschen in der Grenzregion aufgespürt, gejagt und zurück in die Obdachlosigkeit in bosnischen Wäldern geprügelt!

 

Doch wir brauchen nicht bis nach Kroatien oder Griechenland schauen, um Polizeigewalt im Zusammenhang mit Migrations- und Asylpolitik zu benennen. Nehmen wir nur die gewaltvollen Abschiebungen direkt vor unser aller Augen, durchgeführt von deutschen Polizist*innen. Neuerdings wird entgegen den Versprechungen der Landesregierung Niedersachsen vom Flughafen Hannover-Langenhangen wieder bei Nacht und Nebel und meist ohne Zeug*innen in Länder wie Afghanistan abgeschoben [10] Afghanistan, das Land auf dem letzten Platz des Global Peace Index, in dem letztes Jahr fast 10.000 Zivilist*innen bei Anschlägen und Kämpfen ermordet und verletzt wurden [11 und wie ihr wisst erst vor wenigen Wochen dutzende Kinder bei einem Terroranschlag auf eiine Schule getötet und verletzt wurden. Um die Kaltblütigkeit der Abschiebepraxis zu verdeutlichen: Während der vorletzte Abschiebeflieger am 10. Februar in Kabul landete, detonierten in der gleichen Stadt mehrere Bomben und töteten zwei Menschen [12]. Was für ein Land, was für eine Exekutive tut Menschen diese Gewalt an? Denn genau das ist jede Abschiebung: Gewalt! Und jede einzelne Abschiebung, diese verbrecherische, rassistische Politik, wird umgesetzt und durchgeführt von den gehorsamen Beamt*innen bei Ausländerbehörde und Polizei!

 

Wir müssen der Normalisierung von Abschiebungen, Pushbacks, Polizeigewalt und Abschottung unsere Entrüstung, unsere Wut und vor allem unsere Solidarität entgegensetzen! Egal mit welchem zynischen Begriff die Gewalt relativiert werden soll, wir müssen sie weiter als das benennen, was sie ist: Gewalt. Es ist eine Gewalt, die eine lange Kontinuität hat. Struktureller und alltäglicher Rassismus waren bereits Kernelemente kolonialer Herrschaft. Die Abschottung der europäischen Union  richtet sich gegen die Nachfahren der Kolonisierten. Viele verlassen ihre Herkunftsländer. Neoliberale Ausbeutungsverhältnisse und von früheren Kolonialmächten gestützte Diktaturen und Konflikte machen Lebensperspektiven zunichte. Lasst uns also weiter gemeinsam und solidarisch gegen jede Abschiebung, gegen Polizeigewalt hier und an den Außengrenzen der EU, gegen Frontex und gegen die Festung Europa auf die Straße gehen! Lasst uns laut sein und uns in praktischer Solidarität üben! Bewegungsfreiheit allen Menschen! Jeder Mensch hat das Recht auf ein gutes Leben.