Redebeitrag zur Afghanistan-Demo am 02.10.2021

Aus den Medien sind die Bilder von den Menschen, die versuchten mit dem Abzug der westlichen Armeen, wie der Deutschlands, das Land zu verlassen verschwunden. Menschen fürchten sich noch immer und leiden bereits unter Verfolgung und Unterdrückung.

Ich bin Hannah, ich spreche als Aktivistin der Seebrücke Oldenburg. Auch weiterhin unterstützt die Seebrücke Oldenburg den Protest der afghanischen Community in Oldenburg. Sie haben Angst um ihre Angehörigen und Freunde in Afghanistan und treten ein für ein Afghanistan, in dem niemand fürchten muss, wegen der eigenen Lebensweise oder politischen Überzeugung verfolgt zu werden.


Die Evakuierung der deutschen Armee aus Afghanistan und mit ihr eine sehr geringe Anzahl an Ortskräften ist abgeschlossen. Die Menschen hatten mit der Bundeswehr zusammengearbeitet, weil sie ein demokratisches Afghanistan aufbauen wollten oder schlicht Arbeit zum Lebensunterhalt gesucht hatten.

Kanzlerin und Verteidigungsministerium danken den deutschen Soldaten und Soldatinnen für den Einsatz und es werden Medaillen vergeben. Die NWZ berichtete an diesem Donnerstag über die Erfahrungen eines Oberst zu den Evakuierungen, dieser meine „Das sind Bilder, die man niemals vergessen wird.“

Im Zentrum stehen somit die deutschen Soldaten und Soldatinnen und nur noch selten diejenigen, die nun die Hauptlast zu tragen haben: Die Menschen, die in Afghanistan leben.

Ende August hatte der Berliner Tagesspiegel noch Angela Merkel mit den Worten zitiert: “Unsere Gedanken sind bei den vielen Frauen, die in diesen Tagen und Stunden um ihr Leben fürchten müssen, weil sie sich politisch engagiert haben.“. Auch Armin Laschet hatte gefordert. „Man müsse engagierten Frauen eine Möglichkeit geben, sobald wie möglich aus Afghanistan herauszukommen.“.

Solche Lippenbekenntnisse kennen wir allzu gut. Dass Bekenntnissen keine Taten folgten, ist umso bitterer, da ja westliche Armeen und seit Ende 2001 auch die Bundeswehr in Afghanistan laut Aussagen der Regierungen für Menschenrechte und auch explizit für die Gleichberechtigung der Geschlechter kämpften.

Aktivisten nun ohne Unterstützung zu lassen, als der Sieg der westlichen Armeen nicht mehr zu erwarten war, zeugt einmal mehr davon, dass es vielleicht gar nicht so sehr um die propagierten Ziele ging. Ansonsten hätte ja die Möglichkeit bestanden, den Frauenrechtlern als Gegner des Regimes der Taliban, das Recht auf politisches Asyl zu gewähren. Davon ist aber nichts geschehen. Stattdessen werden zunehmend Stimmen laut, die die alte
koloniale Erzählung wiederholen, dass „die Anderen“ unsere Demokratie gar nicht wollen würden und wir anderen Kulturen nicht aufzwingen könnten. Damit wird völlig verdeckt, dass Menschen in Afghanistan demokratische Verhältnisse, Freiheit, Geschlechtergerechtigkeit und Bildung wollen und dafür sogar ihr Leben aufs Spiel setzen.

Schon im 19. Jhd. war Afghanistan Objekt britischer und russischer geopolitischer Interessen. Deutsche Soldaten waren sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg in Afghanistan im Einsatz. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde die Polizei von der Bundesrepublik Deutschland ausgebildet, wohingegen die afghanische Armee von der Sowjetunion trainiert wurde. Dennoch wurde das Land ein Spielfeld des Kalten Krieges. Im Jahr 2010 konnte man in der Wochenzeitschrift „Zeit“ lesen, dass nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 sich schon „im Januar 1980 hochrangige Regierungsvertreter aus der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA in Paris“ trafen, um ihre Politik gegen die sowjetische Herrschaft abzustimmen. Die frühere und heutige Herrschaft der Taliban ist auch vor dem Hintergrund westlicher Unterstützung zu sehen.

Die Geschichte der Interventionen aus geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen muss kritisch aufgearbeitet werden. Menschen- und Frauenrechte dürfen nicht für Politiken genutzt werden, die andere Interessen verfolgen. Aber zu allererst gilt unsere Solidarität den Menschen in Afghanistan, die um ihr Leben und ihre Freiheit fürchten und ihren Angehörigen. Sichere Wege, das Land zu verlassen, und die Aufnahme in europäischen Ländern müssen gewährleistet werden. Hier muss die deutsche Regierung ein deutliches Zeichen setzen, Menschen aufnehmen und ihren Einfluss in Europa nutzen.