Bewegungsfreiheit allen Menschen!

Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine treibt zehntausende Menschen in die Flucht über die westlichen Landesgrenzen. Die Nachbarländer Polen, Rumänien, Ungarn, Slowakei und Moldawien reagieren offiziell mit einer Öffnung ihrer Grenzen. Ukrainische Staatsbürger*innen dürfen allgemein mit biometrischem Pass ohne Visum in die EU einreisen. Aufgrund des Krieges verzichten jedoch die meisten Nachbarländer auf die Kontrolle gültiger Papiere und lassen Menschen auch ohne diese nach kurzer Prüfung einreisen. Gleichzeitig mobilisiert sich in ganz Europa eine Solidaritätsbewegung mit den aus der Ukraine fliehenden Menschen. Diese ermutigende Entwicklung mag manche darauf hoffen lassen, dass endlich die Tödlichkeit der Aufrechterhaltung nationaler Grenzen gegenüber fliehenden Menschen eingesehen wird. Leider weit gefehlt. Die derzeitigen asylpolitischen Entwicklungen vor dem Hintergrund eines erneuten Krieges in Europa bewegen sich vielmehr innerhalb der rassistischen Grenzlogiken der Festung Europa. Wir weisen jeden Versuch, das Leid und die Not von Menschen gegeneinander auszuspielen, entschieden zurück!

Seit zwei Tagen hören wir von der polnischen Grenze Berichte von Schwarzen Menschen und People of Color aus der Ukraine, die an der Grenze abgewiesen werden. Entgegen offizieller Erklärungen, dass die Grenze für alle Menschen geöffnet sei, werden Drittstaatsangehörige aus zum Beispiel Nigeria und Marokko, viele von ihnen Auslandsstudierende, offenbar an der Grenze über viele Stunden immer wieder an das Ende der Reihe geschickt. Nur wenige dutzend Kilometer von der Ukraine entfernt finden auch weiterhin fortlaufend gewaltsame Pushbacks aus Polen nach Belarus statt – in das Land also, von dem aus russische Angriffe und Truppenbewegungen stattfinden und das droht, auch aktiv in den Krieg einzusteigen. Während Polen schon in den letzten Wochen umfangreiche Aufnahmezusagen für Menschen aus der Ukraine gemacht und Infrastruktur dafür aufgebaut hat, wird der Bau der Grenzmauer an der polnisch-belarussischen Grenze fortgesetzt. Auch Griechenland verkündet Aufnahmebereitschaft und gibt sich offen für Schutzsuchende – nur Tage nachdem Berichte darüber bekannt wurden, dass Fliehende von griechischen Grenzschützer*innen ins Wasser geworfen wurden und ertranken. Ungarn, das Land, das schon vor Jahren massive Grenzbefestigungsanlagen zur Abschreckung Geflüchteter errichtete und vor kurzem Gesetze erlies, die das Stellen von Asylanträge faktisch verunmöglichen und Hilfe für Geflüchtete strafbar machen, ist jetzt plötzlich aufnahmebereit. Auch in Deutschland tragen nun Politiker*innen aller Parteien ihre Solidarität und Hilfsbereitschaft vor. Gleichzeitig jedoch häufen sich die Abschiebungen von Kurd*innen in die Türkei, wo ihnen mindestens Haft und Folter drohen – offenbar als Teil der „Abschiebeoffensive“ der selbsterklärten „Fortschrittskoalition“.

Ganz offen werden nun im Fernsehen Länder und Menschen in „zivilisiert“ und „unziviliert“ eingeteilt und fliehende Menschen nach „kultureller Nähe“ zum dominanzgesellschaftlich definiertem „Wir“ unterschieden. Damit wird keine neue Idee in die Grenzpolitik eingeführt, sondern ein häufig mehr oder weniger verschleierter rassistischer Kern dieser Politik offengelegt. In den US-amerikanischen CBS-News wurde gestern in einem Interview besonders deutlich, wie das rassistische Differenzsystem funktioniert und wie auch osteuropäische Menschen in diesem System rassistisch abgewertet werden: Kyiv sei kein Ort wie Irak oder Afghanistan, ist in dem Interview zu vernehmen, Kiew sei eine „relativ zivilisierte, relativ europäische“ Stadt, in der man das (die Gewalt) nicht erwarte. Es ist unfassbar und unerträglich, wie offen Rassismus vorgetragen wird! Wir wollen auch daran erinnern, dass noch heute unzählige der Menschen, die in den 90ern vor den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien geflohen sind, in Kettenduldungen leben – oder wurden längst wieder abgeschoben, teilweise in Länder, in denen sie noch nie gelebt haben. Genau die Kriege und Völkermorde, vor denen die in Deutschland überJahrzehnte massiv rassistisch diskriminierten Menschen fliehen mussten, werden in der Berichterstattung aktuell regelmäßig komplett aus der Geschichte getilgt, etwa wenn mit maximaler Ignoranz immer wieder vom „ersten Krieg in Europa seit 1945“ geschrieben wird.

Wir freuen uns von Herzen über die Solidarität mit aus der Ukraine fliehenden Menschen! Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass sich diese Solidarität auf alle Menschen erstreckt. Alle Menschen haben das Recht auf Bewegungsfreiheit. Alle Menschen haben das Recht, nach einem guten und sicheren Leben zu streben. #WirHabenPlatz schließt alle schutzsuchenden Menschen ein!


Hier findet ihr eine Übersicht mit Unterstützungsmöglichkeiten.